Mo, 10. — Sa, 15.02.2020 | 17:30 Uhr bzw. Sa 15:00 Uhr | City-Kino USA 2017, Regie: Sean Baker, Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch, Kamera: Alexis Zabe, Musik: Lorne Balfe, Schnitt: Sean Baker, Alejandro Carrillo Penovi. Darsteller: Brooklyn Kimberley Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe, Christopher Rivera, Caleb Landry Jones, 111 min, OmdUTThe Florida Project
Inhalt:
Wir befinden uns in der bizarren, grellbunten Welt der heruntergekommenen Hotels, Motels und Absteigen in der Umgebung von Disney World in Orlando, Florida. Diese sind nicht von Unterhaltung und Vergnügen suchenden Themenpark-Touristen bewohnt, sondern von den Gestrandeten und Verlierern der US-Wohlstandsgesellschaft. Von jungen Müttern mit ihren Kindern, ohne Väter, auf sich alleine gestellt, mit traumatischen Existenzsorgen als ständigen Begleiter. Eine von ihnen ist Halley mit ihrer kleinen Tochter Monee, die beiden leben und wohnen vorübergehend im ‚Magic Castle‘, das unzweifelhaft schon bessere Zeiten und Tage gesehen hat. Der einzige Lichtblick scheint Bobby, der fürsorgliche Manager des Motels zu sein.
Der Regisseur:
Sean Baker wird 1971 in Summit in New Jersey geboren, er erwirbt an der New York University einen Bachelor of Arts in Filmwissenschaften, im Jahr 2018 wird der inzwischen renommierte Regisseur Mitglied der ‚Academy of Motion Picture Arts and Sciences.‘
Hintergrund:
Der Regisseur über das Setting seines Films:
Billighotels waren in der Geschichte der USA immer der letzte Zufluchtsort in Krisensituationen, bevor die Betroffenen auf der Straße landeten. In dieser Gegend von Florida waren die Folgen der Bankenkrise von 2008 besonders stark. Hinzu kommt, dass viele in diese Gegend gezogen sind in der Hoffnung auf einen Job im Umfeld von Disneyland oder einfach nur wegen des besseren Wetters, was für Menschen am Rande der Obdachlosigkeit auch ein wichtiger Faktor ist. Diese Hotels rund um den Vergnügungspark wurden ursprünglich für Touristen errichtet, die dann im Zuge der Rezession mehr und mehr ausblieben. Genau wie ihre Bewohner kämpfen auch diese Hotels um ihre Existenz.
Die Kinder wachsen hier in ärmlichen Verhältnissen auf, direkt vor den Toren von Disneyland, das als das ultimative Kinderparadies gilt. Diese sehr traurige Ironie wollte ich zeigen. Darüber hinaus ist es interessant zu sehen, wie sich die Kinder den widrigen Umständen besser anpassen als die Erwachsenen. Sie sind noch nicht von den sozialen Verhältnissen infiziert, aber sie werden sich im Verlauf des Filmes allmählich ihrer Situation bewusst.(Sean Baker, Interview mit Martin Schweikert, Zeit online, 14.3.2018)
Auszüge aus einem ZEIT-Interview mit Sean Baker:
ZEIT online: Regie führen heißt normalerweise, eine möglichst umfassende Kontrolle über die Drehsituation herzustellen. Sie haben bei laufendem Hotelbetrieb mit Kindern und Laiendarstellern in einem Umfeld gearbeitet, das sich nur bedingt kontrollieren lässt. Wie wichtig ist ein bestimmtes Maß an Kontrollverlust für Ihre Art des Filmemachens?
Baker: Vor dem Dreh habe ich etwa 70 Prozent der Szene strukturiert und vorbereitet. Bei den restlichen 30 Prozent erlaube ich mir, mich von Zufällen überraschen und inspirieren zu lassen. Man muss sehr aufmerksam sein und den Moment einfangen, wenn er auftaucht. Meine Drehs sind vielleicht oft ein wenig chaotisch, und manchmal wird eine Szene nicht ganz so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Aber gleichzeitig sind die spontanen Momente, die aus dieser Offenheit entstehen, mit Geld nicht zu bezahlen.
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Die Schlussszene, die als einzige direkt in Disneyland spielt, haben wir heimlich mit dem iPhone gedreht. Aber von Disney gab es auch im Nachhinein keine Schwierigkeiten. Unser Film zeigt ja auch nicht mit dem Finger auf das Unternehmen. Hier geht es um Missstände, die im ganzen Land anzutreffen sind. Aber Disneyland war für uns als Hintergrund wichtig, weil es das größte kontrollierte kulturelle Phänomen jenseits organisierter Religion ist – und das sagt einiges über unsere Gesellschaft aus.ZEIT online: Einen Hollywoodstar unter all die Laiendarsteller zu mischen – ist das auch ein Castingstatement?
Baker: Stimmt, das passt zu den starken, verrückten Kontrasten, die wir im Film zeigen. Aber das hatte ich bei der Besetzung Willem Dafoes nicht im Kopf. Es ging darum, einen Schauspieler zu finden, der dafür sorgt, dass der Film finanziert wird. Wenn man einen Investor hat, braucht man einen Box-Office-Namen, um den Film verkaufen zu können. Da steht man als Filmemacher in der Verantwortung und muss gleichzeitig jemanden finden, der sich in dieses realistische Setting einfügt, ohne wie ein Hollywoodfremdkörper zu wirken. Das hat mir große Sorgen bereitet. Aber Willem Dafoe ist einer der Schauspieler, die einen innerhalb weniger Minuten vergessen lassen, wer sie sind, und ganz in ihrer Figur aufgehen.
ZEIT online: Werden Sie sich auch weiterhin einem sozial engagierten Kino verschreiben?
Baker: Wenn man heute als Filmemacher in den USA lebt, kommt man gar nicht umhin. Wir leben in einer politisch aufgeladenen Zeit und es ist fast unmöglich, das nicht in seine Arbeit einfließen zu lassen. Ich versuche unterhaltsame Filme zu machen, die sich der sozialen Verantwortung stellen.
Kritikerstimmen:
Gleichzeitig bricht „The Florida Project“ mit der Vorstellung, dass Filme über abgehängte soziale Milieus immer mit der Ästhetik des Miserabilismus spielen müssen. Bakers Film sprüht vor Leben, die Farben knallen – wie schon in dem auf einem iPhone gedrehten „Tangerine“, der die kalifornische magic hour, den Sonnenuntergang, im Kino verewigt hat. Die Schönheit dieser Lebenswelten liegt in den Bildern selbst, der Regisseur und sein Kameramann Alexis Zabe, der schon mit Carlos Reygadas gearbeitet hat, zwingen sie ihnen nicht auf. „Wir wollten Poesie, keinen magischen Realismus“, erklärt Baker.
(Andreas Busche, tagesspiegel.de, 14.März.2018)
Wenn sich die Kamera mal auf die Augenhöhe von Erwachsenen begibt, bleibt sie an Willem Dafoe hängen. Als einziger professioneller Darsteller in diesem Film spielt er Bobby, den Manager des „Magic Castle“, dessen Aufgabe es ist, den seriösen Eindruck des Hauses aufrechtzuerhalten – eine Gratwanderung zwischen Beobachtung und Anteilnahme. Der Boss sitzt Bobby im Nacken, die Eismaschine ist schon wieder kaputt, Geld ist zwar da für den farbigen Hausanstrich, aber nicht für den Kammerjäger. Aus dieser Perspektive enthüllt sich das „Magic Castle“ als absurdes Setting mühsam übertünchter sozialer Härten, die wenig mit der behaupteten Magie zu tun haben. Aus Kinder-Perspektive, also etwa 1,20 Meter über dem Boden, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.
Warum der Regisseur eines der größten Talente des sozial engagierten Kinos ist, kann man an seiner ästhetischen Haltung festmachen: Er macht aus den wilden Bewegungen und Überlebensstrategien seiner jungen Helden den klassischen Kinderfilm, den sich Disney nie getraut hat.
(Jan Künemund, Spiegel online)