Mo, 13. — Sa, 18.11.2017 | 17:30 Uhr bzw. Sa 15:00 Uhr | City-Kino TR/FR/DE, DE 2015, Regie: Deniz Gamze Ergüven, Drehbuch: Deniz Gamze Ergüven, Alice Winocour, K: David Chizallet, Ersin Gok, M: Warren Ellis, Schnitt: Mathilde van de Moortel, Darsteller: Günes Sensoy, Doga Zeynep Doguslu, Elit Iscan, Tugba Sunguroglu, Ilayda Akdogan, Nihal G. Koldas, Ayberk Pekcan, 94 Min, OmdUMustang
Inhalt:
Sommer in einem türkischen Dorf an der Küste des Schwarzen Meeres. Lale und ihre vier Schwestern wachsen nach dem Tod der Eltern bei ihrem Onkel auf. Als sie nach der Schule beim unschuldigen Herumtollen mit einigen jungen Burschen im Meer beobachtet werden, lösen sie einen Skandal aus. Ihr als schamlos wahrgenommenes Verhalten hat dramatische Folgen: Das Haus der Familie wird zum Gefängnis, Benimmunterricht ersetzt die Schule und Ehen werden arrangiert. Doch die fünf Schwestern – allesamt von großem Freiheitsdrang erfüllt – beginnen, sich gegen die ihnen auferlegten Grenzen aufzulehnen.
Die Regisseurin:
Deniz Gamze Ergüven wird als Tochter eines türkischen Diplomaten 1978 in Ankara geboren, wächst in der Türkei, in den USA und in Paris auf. Nach ihrer hauptsächlich in Paris absolvierten Schulausbildung macht sie ein Studium in Afrikanischer Geschichte in Johannesburg, daran anschließend geht sie zurück nach Frankreich, um dort Filmwissenschaft zu studieren. Im Filmfach Regie schließt sie das Studium 2006 erfolgreich ab.
In ihrem Langspielfilm-Debut ‚Mustang‘ kehrt sie thematisch in ihre Heimat zurück. Dabei ist besonders interessant, wie Ergüven die beiden Perspektiven miteinander verbindet, nämlich ‚einerseits die einer jungen türkischen Frau, die 1978 in Ankara geboren ist und die Restriktionen, denen Frauen in ihrem Land ausgesetzt sind, aus eigener Erfahrung kennt und bis heute wie ein einengendes Korsett spürt, wenn sie zurückkehrt. Und andererseits die einer Filmemacherin, die ihre filmische Sozialisation in Frankreich erlebt hat, in der Heimat der Nouvelle Vague, von Regisseuren wie Jacques Doillon oder François Truffaut, aber auch von Olivier Assayas und den Brüdern Dardenne.
(epd-film, Anke Sterneborg)
Deniz Gamze Ergüven zum Film:
Jede Szene hat einen wahren Hintergrund, etwa wenn die Mädchen im Meer auf den Schultern der Jungen sitzen oder wenn sie mitten in der Nacht ins Krankenhaus gebracht werden, um festzustellen, dass ihr Jungfernhäutchen noch unversehrt ist. Das erste habe ich selber erlebt, das zweite passierte in der Generation meiner Mutter. Alle diese Geschehnisse sind also real – wie die Mädchen darauf reagieren, ist allerdings Fiktion. Nachdem wir damals auf den Schultern der Jungen gesessen hatten, schämte ich mich und senkte den Blick, während die Mädchen im Film dies als Ausdruck ihrer Lebensfreude verteidigen.
Kritikerstimmen:
Immer wieder fangen die Debütregisseurin und ihr Kameramann David Chizallet das vertraute und sinnliche Miteinander der Mädchen ein, die Art, wie sie ganz unschuldig mit ineinander verschlungenen Armen, Beinen, Körpern in Betten oder auf dem Boden liegen, in glücklichen Momenten, die sie ihrer beklemmenden Situation abtrotzen. Oder wenn zwei von ihnen in einer vergitterten Nische aus weißen Mauern nicht nur in der Sonne, sondern auch in Licht und Leichtigkeit baden. Doch wenn die Jüngste fast beiläufig erwähnt, dass dies das letzte Mal war, dass sie alle fünf zusammen waren, legt sich dieser Satz wie eine düstere Vorahnung über den Film. Sie verbindet sich mit den nächtlichen Besuchen, die der Onkel den Mädchen abstattet, deren Keuschheit er tags mit hohen, bewehrten Mauern und schweren Gittern so rigide bewacht. Doch der unbezähmbare Geist der Freiheit, den Deniz Gamze Ergüven auf so betörende Weise einfängt, ist ihr zufolge typisch für die heutige Generation junger Frauen.
(epd-film, Anke Sterneborg)
Doch auch wenn die Regisseurin mitunter auf gängige Metaphern zurückgreift, findet sie einen eigenen Zugang. Trotz aller Brisanz vermittelt ihr Film in warmen Farben und sommerlich flirrenden Bildern ein überraschendes Gefühl von Freiheit und Lebensfreude – und damit genau das, was sich die fünf Schwestern den Umständen zum Trotz erhalten wollen. Denn erst verschwinden ihre Computer, Handys und Schminktäschchen, dann werden ihre Jeans gegen unförmige Kleider getauscht, und schließlich wird das Haus eingezäunt, vergittert, zugemauert, gleichsam zu einer Festung.
(Filmdienst, Kirsten Taylor)
Das titelgebende Bild des Mustangs kommt zwar etwas arg plakativ daher, trotzdem trifft es die Sache. Schließlich ist es jener Freiheitsdrang, den man gerne wild lebenden Pferden zuschreibt, der auch die Mädchen in Deniz Gamze Ergüvens heilsam sinnenfroh erzählter Emanzipationsgeschichte auszeichnet.
(Die ZEIT online, Kaspar Heinrich)
Preise (u.a.):
Cannes 2015: Gewinn des ‚Europa Cinemas Label Awards‘
Oscars 2016: Nominierung bester fremdsprachiger Film (als französischer Beitrag)
Friedenspreis des deutschen Films – Die Brücke 2016: Nachwuchspreis