Mo, 15. — Sa, 20.01.2018 | 17:30 Uhr bzw. Sa 15:00 Uhr | City-Kino GB/F 2016, Regie: Ken Loach, Drehbuch: Paul Laverty, Kamera: Robby Ryan, Schnitt: Jonathan Morris, Musik: George Fenton, Darsteller: Dave Johns, Hayley Squires, Micky McGregor, Colin Coombs, Briana Shann, Dylan McKiernan, 100 Minuten, OmdUI, Daniel Blake
Inhalt:
Newcastle upon Tyne im Nordosten Englands: Daniel Blake, ein 59-jähriger Zimmermann erleidet kurz vor der Pensionierung einen leichten Herzinfarkt und ist erstmals in seinem Leben auf staatliche Hilfe angewiesen. Ein erniedrigender und zermürbender Kampf mit Online – Anträgen und Formularen beginnt. Dabei lernt er die alleinerziehende Mutter Katie mit ihren zwei kleinen Kindern kennen, die ähnliche Erfahrungen mit der seelenlosen Bürokratie – Maschinerie machen. Die vier bilden eine erfolgreiche Schicksalsgemeinschaft und erfahren neben den ständigen Tiefschlägen auch viel Solidarität. Immer neue bürokratische Klippen des sogenannten Sozialstaates aber lassen Ohnmacht schlussendlich zu Wut werden – doch ganz so leicht geben Daniel und Katie ihre Träume und Hoffnungen nicht auf.
Der Regisseur:
Der britische Regisseur Ken Loach (geboren 1936 in Nordengland) ist ein guter alter Bekannter im Filmring, allein in den letzten zehn Jahren waren vier seiner Filme in unserem Programm (Titel siehe unten). Berühmt wurde er durch seine jahrelange Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Paul Lafferty, alle seine Filme sind geprägt von einem tief gehenden Engagement für die Benachteiligten und Unterdrückten, seine naturalistische Erzählweise gründet auf einer glasklaren politischen Einstellung: dem idealistischen Marxismus, einem Streben nach einer sozial gerechteren Welt, in der gelebte Solidarität nicht nur eine hohle Phrase ist. Bereits zweifacher Gewinner der Goldenen Palme von Cannes, ist Ken Loach einer der wichtigsten sozialkritischen Regisseure der Filmgeschichte.
Der Regisseur über die Recherche zum Film:
Paul Laverty, mein Autor seit vielen Jahren, und ich befinden uns in einem ständigen Dialog und tauschen Ideen aus. Über das, was in unserem Land vorgeht und was mit den Menschen passiert. In diesem Fall schauten uns in verschiedenen Städten um, im Mittleren Westen, in den Midlands, im Norden, natürlich auch in London. Wir sprachen mit Menschen, die in Jobcentern gearbeitet hatten, ebenso wie mit solchen, die in Essensausgabestellen tätig waren. Viele wussten davon, viele wollten gerne darüber reden – und doch ist es nicht Teil der öffentlichen Diskussion. Man liest vielleicht einmal etwas in der Zeitung über Essensausgabestellen, aber das macht keine Schlagzeilen und wird schnell vergessen. Paul arbeitete zunächst die beiden Hauptfiguren aus und schrieb dann das Drehbuch.
[…]
Wir hatten schon ein Bewusstsein [dieser Problematik], aber die ganzen Ausmaße habe ich erst durch die Arbeit am Film kennen gelernt. Paul traf einen Mann, der für ganze drei Jahre sanktioniert wurde, in dieser Zeit also kein Geld bekommt. Dabei handelt es sich um einen hochqualifizierten Fabrikarbeiter, der sich weigerte, das zu machen, was sie ihm anboten. Im Jobcenter sage man ihm nämlich, er müsse dieselbe Arbeit ohne Lohn machen, anderenfalls würde er keine staatliche Unterstützung bekommen. Als er das ablehnte, sanktionierten sie ihn.
[…]
Das ist eine absichtliche Grausamkeit, die dort praktiziert wird. Die Leute, die in den Jobcentern arbeiten, haben Anweisungen, eine bestimmte Anzahl von Menschen zu sanktionieren. Und wenn sie das nicht tun, bekommen sie einen „personal improvement plan“, wie sie ihre Arbeit verbessern können – was nichts anderes bedeutet, als mehr Sanktionen zu verhängen. Ihre Vorgabe ist, die Menschen zu entmutigen. Daniel Blake ist einer, der sich nicht entmutigen lässt. In der Realität zeigt sich, dass die Mehrheit der Anfechtungen Erfolg hat. Deshalb versucht man in den Jobcentern alles Mögliche, um die Menschen zu entmutigen.(epd-film, Interview von Frank Arnold mit Ken Loach)
Kritikerstimmen:
Am Beispiel des Kämpfers Daniel Blake, dessen Mut und Witz, Energie und Enthusiasmus in der Mühle der verwalteten Welt zermahlen werden, beschreibt Loach eindringlich, wie die Bürokratie Menschen kaputtmacht, wie sich die Sozialämter hinter ihren Callcentern und Internetauftritten verstecken, neue, absurde Beschäftigungsspiele erfinden und Komplexität der Formulare und Verfahren derart steigern, dass viele so genannte Sozialhilfeempfänger frustriert aufgeben oder scheitern – jedenfalls die Statistik „befreien“. „Es ist eine monumentale Farce“, erkennt Daniel, „Wir schreiben Bewerbungen für Jobs, die es gar nicht gibt.“ Auch die Verantwortlichen werden benannt: „All those fucking Tories“.
(Filmdienst, Rüdiger Suchsland)
Auch wenn die Inszenierung immer wieder versucht, der Geschichte Momente der Leichtigkeit und des Komödiantischen zu geben, liegt die Stärke im politischen Zorn. Loach zeigt, was die Soziologie mit akribischen Begriffen herausgearbeitet hat: Dass der deregulierte Markt unendlich viel mehr formale Vorschriften und Regularien zur Disziplinierung der Menschen produziert als frühere Ökonomien, und dass Bürokraten zugleich mitleidsloser denn je agieren. Das Individuum und dessen besonderen Umstände gelten immer weniger.
(Filmdienst, Rüdiger Suchsland)
Ich, Daniel Blake« ist der unversöhnlichste Loach-Film seit langem, geradlinig erzählt, mit zurückhaltend agierenden Darstellern, nicht nur in den beiden Hauptrollen, auch in Nebenrollen wie dem für »comic relief« sorgenden jungen Schwarzen, der Daniels Nachbar ist. 50 Jahre ist es her, dass Ken Loach mit »Cathy, Come Home« eine ähnliche Geschichte über einen Menschen im Räderwerk der Bürokratie erzählte. Die bewirkte nach ihrer Fernsehausstrahlung eine Debatte im Parlament, von so etwas träumt heute nicht einmal mehr Loach.
(epd-film, Frank Arnold)
Filmografie (Auswahl):
1991: Riff-Raff
1995: Land and Freedom
1998: My Name is Joe (im Filmring)
2001: The Navigators
2004: Just a Kiss (im Filmring)
2006: The Wind that Shakes the Barley
2007: It’s a Free World (im Filmring)
2009: Looking For Eric (im Filmring)