Mo, 15. — Sa, 20.10.2018 | 17:30 Uhr bzw. Sa 15:00 Uhr | City-Kino F 2016, Regie: Grand Corps Malade, Mehdi Idir, Drehbuch: Grand Corps Malade, Fadette Drouard, K: Antoine Monod, M: Angelo Foley, S: Laure Gardette, Darsteller: Pablo Pauly, Soufiane Guerrab, Moussa Mansaly, Franc Falise, 112 Minuten, OmdUtLieber leben (Patients)
Inhalt:
Von einem Moment auf den nächsten ist nichts mehr, wie es einmal war. Was sich nach einer Phrase anhört, wird für Ben zur bitteren Realität. Ein Unfall, über dessen Hintergründe zunächst kaum etwas bekannt ist, macht aus einem sportlichen jungen Mann mit vielen Zukunftsplänen und Wünschen eine hilflose Person, die plötzlich komplett auf andere angewiesen ist. Als er wieder das Bewusstsein erlangt, ist Ben vom Hals abwärts gelähmt. Aus seinem Krankenbett nimmt er in diesem Moment seine Umwelt nur schemenhaft wahr. Dann werden die Schläuche und Maschinen entfernt und er schließlich nach vielen Wochen in eine Reha-Klinik verlegt. Dort beginnt für ihn ein neues Leben.
Die Geschichte basiert auf dem stark autobiografischen Roman von Co-Regisseur und Hip-Hop-Musiker Marsaud, der hier unter seinem Künstlernamen „Grand Corps Malade“ im Vor- und Abspann auftaucht.
Die Regisseure:
GRAND CORPS MALADE:
Grand Corps Malade (*1977), eigentlich Fabien Marsaud, ist ein französischer Poetry-Slam-Künstler und Regisseur. Bei einem verpatzten Sprung in ein Schwimmbecken verschoben sich 1997 seine Wirbel, seitdem sind seine Beine gelähmt. Er schaffte es 1999, sich mit Hilfe einer Krücke wieder alleine zu bewegen, die inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden ist.
Nach seinem Einstieg 2003 in die französische Slamszene übernahm er das Pseudonym „Grand Corps Malade“ und stieg zum ersten Mal im Oktober in einer Pariser Bar auf die Bühne. Er fasste langsam Fuß und gewann, auch durch diverse Siege bei Slam-Wettbewerben, mehr und mehr an Bekanntheit.
2004 gründete er dann mit sechs anderen Kollegen Le Cercle des Poètes sans Instru (deutsch „Der Kreis der Poeten ohne Bildung“). Die Gruppe bestand unter anderem aus den Mitgliedern des Kollektiv 129H, die die Vorreiter des Genres in Frankreich waren. Zusammen traten sie auf vielen Musikfestivals auf. 2005 gründete Grand Corps Malade den Verein Flow d’encre (deutsch „Tintenstrom“) und animiert seitdem aktiv verschiedene Schreib- und Slamgruppen in sozialen Einrichtungen, Schulen und Altenheimen.
2005 schlug ihm ein Freund vor, eine Musikbegleitung für seine Texte zu schreiben, worauf Grand Corps Malade sein erstes Album mit dem Titel Midi 20 (dt. „20 nach 12“) aufnahm. Als das Album im März 2006 veröffentlicht wurde, stieg es schnell an die Spitze der Charts.
Nach seinem ersten Album startete Grand Corps Malade eine große Frankreich-Tournee, bei der er vor größerem Publikum bis Ende 2007 120 Mal auftrat. Am 10. März 2007 wurde er anlässlich der Veranstaltung Victoires de la Musique mit den Preisen für den Newcomer des Jahres und das Erstlingsalbum des Jahres ausgezeichnet. Im März 2008 erschien sein zweites Album Enfant de la ville (deutsch „Stadtkind“).
2016 gab er mit dem Film Lieber leben sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor. Ko-Regisseur war Mehdi Idir.
MEHDI IDIR:
(*1977) im Norden von Paris geboren und aufgewachsen, zunächst Hip-Hop-Tänzer, 2002 begann er erste Videos zu drehen. 2004 dreht er seinen ersten Dokumentarfilm und eignet sich 2007 eine besondere Technik des „Light Paintings“ an. Dabei realisiert er das Video Paris by Light, das ihm die Türen für TV- und Werbeprojekte öffnete. Lieber leben ist sein erster Spielfilm.
Grand Corps Malade über den Film:
„Die Idee zu dem Film entstand schon, als ich begann, das Buch über meine einjährige Rehabilitation zu schreiben. Ich interessiere mich für alle Arten von Text: Poetry-Slam, Songs, Bücher. Drehbücher gehören auch dazu. Die Idee hatte ich immer. Ich habe darüber mit meinem Manager geredet, und er hat mich ermutigt, mich zu trauen. Ich wusste auch, dass ich mit Mehdi Idir zusammen gut vorankommen würde.
Wir haben in dem Rehabilitationszentrum gedreht, in dem ich selber war. Wir wollten im Film wieder zum Leben erwecken, was ich dort kennengelernt habe: eine Welt, in der sich alle abrackern.“
Kritikerstimmen:
Das autobiografisch geprägte Regiedebüt des Poetry-Slammers und Musikers Grand Corps Malade zeichnet mit viel Humor das durch die Realität geerdete Bild einer Rehabilitation, die nicht unbedingt nur die körperliche Wiederherstellung anzielt. Dabei öffnet die stimmige Mischung aus Reflexion, Unterhaltung und Gesellschaftskritik den Blick auf die Menschen hinter der Behinderung.
(Filmdienst Marguerite Seidel)
Da die Patienten in dieser Rehaklinik alle im Rollstuhl sitzen, ist klar, dass kein Actiondrama zu erwarten ist. Zum Leben erweckt werden die Figuren mit Dialogen voller Galgenhumor und unwiderstehlichen Running Gags.
(EPD-Film Manfred Riepe)
Die Galerie der Patienten in Lieber leben ist auch so etwas wie ein Ausdruck des französischen Universalismus. Bei allen Problemen mit sozial abgehängten oder religiös entfremdeten Minderheiten gibt es im Alltag eben auch eine Selbstverständlichkeit der längst nebensächlich gewordenen Migrationshintergründe. Wenn Benjamin sich für die schwarzhaarige Samira zu interessieren beginnt, dann tituliert er sie zwar selbstverständlich als „Araberin“, aber er nimmt sie nicht so wahr – die Schwierigkeiten, die diese mögliche Liebesgeschichte hat, sind andere als „ethnische“, und die Art und Weise, wie die beiden Regisseure mit dieser romantischen Dimension der Geschichte umgehen, zeugt von ihrer angemessen unsentimentalen Haltung.
(FAZ Bert Rebhandl)